I.
Die Fanfare erklang, der Markt war
eröffnet.
Alles was mindestens ein Bein oder
Flügel hatte (Schlangen waren keine anwesend) ging, wankte, hüpfte,
flatterte und hastete durch die Torbögen auf den Marktplatz. Die
morgendliche Sonne ließ die bunten Zelte in allen Farben des
Regenbogens erstrahlen und die meisten Händler hatten ihre Planen
abgebaut um etwas vom ersten warmen Tag des Jahres abzukriegen.
Magdalena, Marianna und Oswald versuchten ebenfalls etwas von der
Sonne abzukriegen, standen aber im Schatten des riesigen Ogers, der
vor ihnen herwankte.
„Immerhin stinkt er nicht“, merkte
Marianna hinter vorgehaltener Hand kichernd an.
Während Marianna und Oswald hier in
Veylle wohnten, war Magdalena nur zu Besuch da und Marianna wollte
heute noch ihren Gegenbesuch bei Magdalena antreten.
Sie trennten sich auf dem Markt und
verabredeten sich auf in einer Stunde am großen Bierzelt. Magdalena
ging ziellos von einem Stand zum anderen und guckte mit halbem Auge
nach etwas nützlichem, mit einem halben nach etwas leckerem, mit
einem halben nach etwas interessantem und mit einem halben Auge
guckte sie nach etwas, das sie ihrem Verlobten, Marius, mitbringen
konnte. Ihre Schnurrhaare zitterten bei all den Gerüchen von
Gewürzen, Essen, Leder und dem Mix an Körpergerüchen der
verschiedensten Wesen. Magdalena blickte um sich; so viele
verschiedene auf einem Haufen hatte sie lange nicht mehr gesehen. Der
Großteil der Masse waren Tiermenschen wie Magdalena, aufrecht
gehend, aber mit Fell und anderen tierischen Elementen versehen. Drei
Oger sah sie in einiger Entfernung vor einem Schlachtzelt aus der
Menge ragen. Und sogar einen Greif sah sie, der sich gerade auf der
Flugplattform abflugbereit machte.
Magdalena fand sich vor einem Zelt
wieder, das keine Auslagen hatte und auch nicht der Sonne geöffnet
war wie die anderen. Neugierig öffnete Magdalena den Eintrittsspalt
und ging in das Zelt hinein. Entgegen ihrer Erwartung war das Zelt
nicht stockduster, sondern hellbunt beleuchtet – es war das Zelt
eines Magiers. Um den Mast in der Mitte waberte, langsam pulsierend,
kaltes Feuer. Auf einer Reihe von Tischen lagen Schmuckstücke und
Beutel und Kästen mit allem was der kleine Hausmagier so brauchte.
Magdalena schaute gewohnheitsgemäß einmal an der Ware entlang. Das
Zelt war leer gewesen bevor sie es betreten hatte und der Verkäufer,
eine weiß-rot gefleckte Eule, kam gemächlich wankenden Schrittes
aus seiner separaten Nische herüber in den Verkaufsraum. Er musterte
Magdalena kurz, dann öffnete er einen der Holzkästen und winkte
Magdalena mit überschwänglich ausladenden Gesten zu sich. Das
Kästchen war voll mit altem, heruntergekommenen Schmuck, den
Magdalena aber trotzdem sehr schön fand. Der Verkäufer machte ihr
ein Angebot, sie dürfe für 10 Dukaten ein Schmuckstück ziehen.
Magdalena nahm an und zog ein ledernes Armband mit glänzenden
Verschlüssen. Sie bedankte sich und ging wieder hinaus. Kaum hatte
sie das Zelt aufgemacht, überschwemmte sie plötzlich wieder der
Lärm und die Masse riss sie mit, kaum dass sie einen halben Schritt
aus dem Zelt gemacht hatte.
Die drei Freunde hatten noch den ein
oder anderen Trunk und viel Freude, doch als sie die Mauer, die den
Platz umgab, hinter sich gebracht hatten, waren sie doch auch ganz
erleichtert nun wieder auf dem Weg zu sein. Magdalenas Armband
funkelte in der Sonne. Obwohl diese nicht schien da sie in einer
tiefen Straßenschlucht im Schatten gingen; aber weder das eine noch
das andere bemerkte irgendwer.
II.
Nach sechs Stunden Ritt hatten Marianna
und Magdalena schon ihr Ziel vor Augen: Tjänne, Magdalenas
Heimstadt, war in Sichtweite. Die beiden waren gerade über einen
Kamm geritten und genossen nun den Ausblick über den vor ihnen
liegenden Hang und ihren Weg bis zur Stadtmauer. Es war vielleicht
noch eine Viertelstunde. Magdalena freute sich schon unbändig, ihren
Verlobten und ihre Stadt wiederzusehen, auch wenn sie nur drei Tage
in Veylle gewesen war. Die beiden Damen lachten und quatschten schon
den ganzen Weg lang, wurden es aber kein bisschen Leid. In Richtung
der Stadt war der Himmel frei, doch von hinter ihnen, von Veylle her,
kamen Wolken heraufgezogen.
„Was hast du Marius denn schönes
mitgebracht? Wetter?“, frotzelte Marianne, den Wolken zunickend.
Ihre Züge verfinsterten sich ebenso wie der Himmel, als sie sich
umsah. Als Magdalena merkte, dass es nicht nur am Wetter lag, blickte
sie ebenfalls über die Schulter.
Nur wenige hundert Meter hinter ihnen,
direkt auf dem Kamm, hoben sich die Schemen von vier Reitern ab. Nein
halt, das waren keine Reiter sondern Zentauren, „Mikka“ um genau
zu sein. Die Mikka waren dafür bekannt, gleichzeitig die
schnellsten, stärksten und gesetzesuntreuesten Wesen auf dieser Welt
zu sein. Zum Glück hatte Magdalena noch nie nähere Bekanntschaft
mit einem von ihnen gemacht.
Unvermittelt galoppierten die vier
Mikka los – genau auf Marianna und Magdalena zu. Ihr Puls
beschleunigte heftig, sie spürten ihren Herzschlag hart wummern.
Ihnen lag viel daran, ihren Herzschlag noch ein wenig länger zu
erhalten und sie begannen einen Fluchtversuch. Die Stadt war schon in
Sichtweite und es ging bergab, so schlecht sahen ihre Chancen
eigentlich gar nicht aus. Sie trieben ihre Pferde zum Äußersten und
flogen nur so über die weite Wiesenlandschaft. Plötzlich hörte
Magdalena neben sich das platschende Geräusch eines Aufpralls. Sie
sah sich um, sah jedoch nichts. Dann platschte es auf der anderen
Seite.
„Sie schießen auf uns!“, rief
Marianna. Und jetzt, als Magdalena genau hinsah, sah sie es auch: Die
Mikka hatten Bögen in den Händen und schossen aus vollem Galopp auf
sie. Aber nicht mit normalen, sondern mit lebendigen Pfeilen. Mit
Pfeilfröschen, einer Art mit spitzem Kopf und der Angewohnheit sich
mit der giftigen Kopfspitze immer weiter in die Opfer hineinzubohren.
Verängstigt beobachtete sie eines der Pfeiltiere, wie es in hohem
Bogen zig Meter durch die Luft flog und dann mit einem vernehmlichen
'Platsch' auf den Boden fiel und zerplatzte. Noch mehr verängstigt
war sie, als sie sah wie nah die Mikka schon gekommen waren; bis zur
Stadt würden sie sie längst eingeholt haben. „Wir müssen sie
verwirren oder irgendwie ablenken!“, sagte Magdalena, „Hast du
eine Idee wie...“
Magdalena schaute neben sich, riss die
Augen auf und erstarrte. Die Zügel rutschten ihr aus der Hand, sie
vergaß sich festzuhalten und drohte vom Pferd zu fallen. Neben ihr,
auf dem anderen Pferd, saß Marianna, halb von einem zuckenden
Pfeiltier durchbohrt. Sie war schon tot oder ohnmächtig, war aber
noch auf dem Sattel eingeklemmt. Gerade sauste ein zweiter Pfeil
heran und traf das Pferd, das sofort strauchelte und, sich in hohem
Bogen überschlagend, mit Marianna auf den Boden krachte.
Magdalena war viel zu schockiert um
irgendwie zu reagieren oder irgendetwas zu realisieren. Sie fasste
sich mit den Händen an die Stirn. Sie bemerkte nicht, wie knapp sie
mehrmals selbst verfehlt wurde, bemerkte nicht, wie ihr Ärmel durch
das Armheben ein Stück herunterrutschte und das Armband freilegte.
Und sie bemerkte auch wieder nicht, wie das Armband leuchtete, wie in
der schönsten Morgensonne – obwohl die Sonne gerade hinter dunklen
Wolken verschlossen war.
Das nächste woran Magdalena sich
erinnerte war, dass über der Stadt zwei weiße Greife aufstiegen und
ihr zur Hilfe eilten. Normalerweise ließen sich diese mächtigen,
majestätischen Wesen nicht dazu herab, einem einfachen Bürger –
noch dazu einer Frau – zu helfen. Die Greife rauschten über
Magdalenas Kopf hinweg als die Mikka nur noch einen Steinwurf
entfernt waren. Sie hatten glänzende Brustpanzer und Helme auf und
leuchteten im Licht.
Woher das Licht eigentlich kam bemerkte
niemand.
Die Greife zerpflückten die Mikka mit
Leichtigkeit und flogen dann ihrer Wege.
III.
Das Stadttor wurde geöffnet und
Magdalena ritt hinein. Eigentlich ritt das Pferd, nicht sie. Sie
selbst war viel zu schwach um auch nur irgendetwas zu tun oder auch
nur zu denken. Als das Tor hinter ihr zufiel kamen ihr die Tränen.
Ihr Pferd wurde angehalten und sie heruntergehoben. Mit steinernem
Blick ging sie zurück zur Mauer und bestieg sie.
Traurig sah sie den so kurzen Weg, auf
dem gerade das Leben ihrer wertvollsten Freundin nach viel zu kurzer
Zeit beendet worden war. Sie sah den braun-grauen Fleck in der Ferne,
der Mariannas Körper und ihr Pferd war. Und die vier dunklen
Fetzenhaufen weiter vorne, die die Mikka gewesen waren.
Magdalena setzte sich kraftlos auf den
Steinboden und blickte mit tränenverschleiertem Blick in die Ferne.
Ihr kamen all die Erinnerungen hoch, all die Erlebnisse die sie mit
Marianna gehabt hatte, und sie musste zu Boden gucken. Das ließ noch
mehr Tränen fließen und Magdalena zitterte schluchzend.
Gedankenverloren spielte sie mit ihrem neuen Armband – da wurde ihr
plötzlich warm ums Herz.
Sie blickte wieder auf, blinzelte die
Tränen weg und entsann sich der guten Dinge, die sie mit Marianna
verband. Freute sich darüber, mit ihr gelacht gedurft zu haben,
erinnerte sich an all die Fröhlichkeit und Albernheit. Sie sah eine
Szene vor sich, wie Marianna und sie ausgelassen durch einen Garten
tobten. Die Szene schien tatsächlich direkt vor ihr auf der
Stadtmauer im Raum zu schweben, wie ein Fenster zur Vergangenheit.
Das Armband um Magdalenas Handgelenk strahlte nun so hell, dass es
keiner mehr hätte leugnen können. Auch Magdalena bemerkte es und
blickte es verwundert an, dann die Szene mit Marianna. Das Armband
sog die Szene in sich auf und blitzte dabei noch einmal auf. Dann
erschien die nächste wundervolle Szene mit Marianna. Und Magdalena,
die eben noch bitterlich geweint hatte, musste lächeln. Weitere
Szenen kamen, auch die auf dem Markt von Veylle an diesem Morgen. Die
Erinnerung war noch so frisch, dass sie Magdalena ins Herz stach und
sie kurz das Lächeln vergaß. Doch die Szene ging vorüber und sie
fand sich damit ab. Sie musste wieder lachen, als sie sich und
Marianna als Kinder unbefangen zusammen spielen sah. Sie war
fasziniert, fasziniert von dem Armband, fasziniert von der Schönheit
des Lebens – so kurz es auch sein mochte.
Doch dann wurde der Strom der
Erinnerungen plötzlich unterbrochen; die letzte Szene fing an zu
rauschen und zu wabern, dann knallte es und vor ihr auf der
Stadtmauer stand die alte Eule, die Magdalena das Armband verkauft
hatte.
„Sei gegrüßt, Magdalena. Ich muss
dir etwas über dieses Armband berichten. Es ist ein unverzeihlicher
Fehler, eigentlich dürftest du es um nichts in der Welt besitzen.“,
begann die Eule.
Magdalena war viel zu perplex von der
Erscheinung und guckte den Magier erstmal nur fragend an.
„Das Armband hat Macht, viel – viel
zu viel Macht. Die Mikka vorhin haben es gespürt und haben versucht
es dir zu rauben, aber du hast es weise eingesetzt.“
„Was? Aber ich hab doch gar
nichts...!“, wunderte sich Magdalena.
Der Magier nickte nur verständnisvoll.
„Das ist ja gerade das Wunderbare:
Wir merken es noch nicht einmal...
Zurück zum Armband und dir: Es kann
das Machtgefüge in dieser Welt durcheinander bringen, wenn das
Armband von den richtigen beziehungsweise falschen Leuten benutzt
wird. Verzeih wenn ich für dich so in Rätseln spreche, das mag
unglaubwürdig klingen, aber du musst mir vertrauen.“
Magdalena seufzte, sie wusste was jetzt
kommen würde.
„Und was muss ich tun? Ich einfache
Katzenfrau aus Tjänne?“
„Braves Mädchen“, sagte die Eule
zwinkernd und sehr erleichtert, „Du musst es an einen sicheren Ort
bringen, an dem es niemand erwartet. Allerdings darfst du nicht weit
reisen, dich werden viel mächtigere Wesen jagen als Mikka. Verstecke
es in den Katakomben unter der Burg Herrfreuth hier in der Stadt. Und
tu es sofort, sonst hast du das gesamte düstere Volk an den Fersen!
Ich muss jetzt fort, bevor mich jemand hier sieht. Sei erfolgreich
und benutze das Armband nicht!“
„Ich weiß doch gar nicht wie...?“,
setzte Magdalena an, doch der Magier hatte sich schon in eine
Staubwolke aufgelöst.
Nun betrachtete sie das Armband mit
anderen Augen.
Sie sah das feine Glimmen, das sich hin
und wieder hindurch zog.
Ihr fiel Marius wieder ein und ihr war
es schon fast peinlich, so lange nicht richtig an ihn gedacht zu
haben. Sie stellte sich seine Züge vor, sein Lachen, und verfiel
selber in ein breites Grinsen.
Da knallte es erneut und Marius stand
direkt vor ihr.
Das heißt, es war natürlich nicht
wirklich Marius, er sah aus wie die Projektionen der Erinnerungen von
vorhin. Magdalena stand auf, ging zu ihm hin und wollte ihn küssen –
doch sie lief einfach durch seine Erscheinung hindurch. Sie schauten
sich beide eine Weile verliebt lächelnd an. Dann begannen sie beide
gleichzeitig zu sprechen, brachen ab und wollten dem anderen den
Vortritt lassen. Schließlich fing Magdalena an:
„Bist du's? Also wirklich?“, sie
schnaubte ungläubig, „Klingt komisch, ich weiß, aber dieses
Armband scheint alles durcheinander zu bringen...“
„Ja ich bin's. Und du bist. Also sind
wir.“, antwortete Marius, eine philosophische Tiefe imitierend.
Magdalena musste lachen.
„Du, es ist was passiert. Es...“,
sie konnte nicht weitersprechen. Marius bemerkte, dass etwas nicht
stimmte und wurde sofort ernst und besorgt.
„Marianna ist tot. Und ich bin immer
noch in Gefahr. Es ist dieses blöde Armband, das ich als Mitbringsel
für dich in Veylle gekauft habe. Ich soll es in den Gewölben unter
der Burg verstecken.“
„Was? Die Katakomben von Burg
Herrfreuth? Nie im Leben gehst du da rein! Weil du nie wieder
rausgehst!“
Magdalena sah ihn besorgt an. Plötzlich
fing Marius' Erscheinung an zu wabern, er schaute irritiert an sich
herunter. Dann kamen von den Seiten plötzlich zwei Hände,
behandschuhte Hände mit Stahlhandschuhen, und packten Marius. Er
schrie auf und streckte Magdalena seine Hand hin, sie versuchte sie
zu greifen, doch Marius Erscheinung war ungreifbar. Er wurde von den
Händen weggezerrt, weg von Magdalena, weg aus seinem Haus. Er
schrie:
„Nein, nicht in den Kerker von
Herrfreuth! Das ist mein Ende! Ich habe ein Mädchen!“, dann war
sein Bild verschwunden und Magdalena blieb verängstigt alleine
zurück.
IV.
Es war erstaunlich einfach gewesen, in
die Katakomben einzudringen – kein Wunder wenn Oger als Wachen
eingesetzt wurden. Magdalena schmunzelte immer noch über ihr
Kunststück. Sie war zu den Wächtern gegangen und hatte gesagt, sie
sei Magierin. Sie hatte ein Schwert in die Hand genommen und gesagt,
wenn die Wächter kurz die Augen schließen würden, würde sie es in
einen Schweinebraten und vier Krüge Bier verwandeln. Die Oger hatten
bereitwillig die Augen geschlossen und Magdalena hätte sie ohne
weiteres mit dem Schwert erschlagen können. Da sie aber keine
Aufmerksamkeit erregen wollte, war sie einfach schnell in den
Kellereingang geschlüpft.
Es war dunkel und kalt.
Und still.
Nur Magdalenas Schritte hallten wie
Posaunen durch die weiten Kelleranlagen. Als Katzenfrau brauchte sie
nicht mehr als ein winziges Restchen Licht um sich zurechtzufinden.
Trotzdem wischte es ihr nach einer Weile das Schmunzeln aus dem
Gesicht, als sie noch andere Geräusche als ihre Schritte hörte. Sie
lauschte, vernahm aber nichts mehr. Dann sah sie plötzlich einen
Schatten – oder war es ein Lichtschein? – quer über den Gang vor
ihr huschen, sie spürte deutlich den Luftzug. Ihr Herzschlag wurde
schneller und sie schlich so leise sie konnte weiter. Auf einmal fiel
ihr noch etwas ein: Sie wusste gar nicht wo sie hin musste. Und sie
hatte sich auch gar keine Gedanken über den Rückweg gemacht,
genaugenommen wusste sie schon jetzt nicht mehr wo sie war. Aber
Magdalena bewahrte einen kühlen Kopf und überlegte. Und wie sie so
überlegte, spürte sie, dass sie nicht mehr allein war. Sie schaute
langsam auf und ihr liefen kalte Schauer über den Rücken, ihre
Nackenhaare sträubten sich, ihr Schwanz stellte sich auf, ihre
Schnurrhaare zitterten.
In der Dunkelheit vor ihr schwebte ein
Augenpaar, das schwach gelblich zu leuchten schien.
Es war höchstens noch ein paar
Schritte entfernt. Aber was war 'Es'?
In dem Moment schnellte das Monster auf
sie zu, Magdalena hob als Reflex schützend den Arm – und entblößte
dabei das Armband.
Es leuchtete hell auf.
Vor ihr war eine Art Schlange, aber mit
vier Beinen, zwei Armen und einer schrecklichen Reißzahn-Kauleiste.
Das Monster war geblendet, schreckte zurück und wand sich. Das
Armband leuchtete nicht gleichmäßig, Magdalena blendete es nicht
und es leuchtete in einen der Gänge hinein, ein wegweisender
Lichtfinger. Magdalena überlegte nicht lange, sie lief in den
beleuchteten Gang hinein so schnell ihre Füße sie trugen.
Das Armband leuchtete ihr den Weg durch
das Labyrinth der Katakomben, scheuchte sie durch zig Abzweigungen
und mehrere Etagen. Immer wieder meinte sie, Schritte hinter sich zu
hören. Es wurden immer mehr Schritte. Sie war immer noch
verängstigt, ihr lief der Angstschweiß in Strömen, doch sie lief
nur noch dem Licht hinterher.
Da sah sie in der Ferne noch ein Licht.
War es nur eine Täuschung? Nein, das sah aus wie ein Lichtschein,
der aus einer Tür in den Gang fiel. Dieser Lichtschein war ihr die
vollkommene Erlösung. Kurz vorher hörte sie auf zu laufen und ging
wie in Trance auf das Licht zu. Ihr Herz schlug höher, aber nicht
mehr weil sie sich so gruselte, sondern in freudiger Erwartung. Das
Armbandlicht begann immer schneller zu pulsieren. Dann war sie
angekommen. Es war eine Gittertür, durch die der schwache
Lichtschein fiel.
Und hinter dieser Gittertür saß
Marius.
V.
Sein Anblick ließ Magdalena verzückt
erstarren. Unendlich langsam hob er den Kopf, blickte zu ihr auf und
verfiel ebenfalls in ein verzücktes Lächeln. Magdalena versuchte
die Tür zu öffnen und wie sie das Schloss berührte, leuchtete das
Armband auf, es klickte und Magdalena ließ die Tür aufschwingen.
Sie und Marius fielen sich in die Arme und pressten sich aneinander,
als könnten sie auf diese Weise eins werden.
Die Dunkelheit, die Monster – alles
war vergessen. Nur dieser wunderbare (Tier-) Mensch zählte. Neben
dem Paar bauten sich Erinnerungsblasen auf: Szenen verliebter
Tollerei und anderer gemeinsamer Erlebnisse – das Armband sog sie
auf und glomm immer intensiver. Es schien schon kaum mehr aus Leder
zu bestehen, sondern aus lodernden Flammen.
Mithilfe des Armbands war es ein
leichtes, aus dem Kerker zu entkommen. Magdalena verließ die
Katakomben und dachte nicht mehr im Entferntesten daran,
zurückzugehen und das Armband zu verstecken oder zu vernichten –
auch abnehmen lassen würde sie es sich im Leben nicht.
Und so gingen sie die Hauptstraße
hinunter, ein Paar wie es glücklicher nicht hätte sein können. Die
Leute schauten ihnen nach, die beiden strahlten eine unbeschreibliche
Helligkeit aus. Und sie fassten sich an den Händen und zwischen
ihnen leuchtete das Band.
Das Band, das sie verband.
[Eine musikalische Vertonung dieser Geschichte gibt es – leider nur in einer softwaregenerierten Version – hier auf Soundcloud zu hören.]
[Eine musikalische Vertonung dieser Geschichte gibt es – leider nur in einer softwaregenerierten Version – hier auf Soundcloud zu hören.]
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