Mittwoch, 19. September 2012

Das Armband

I.

    Die Fanfare erklang, der Markt war eröffnet.
    Alles was mindestens ein Bein oder Flügel hatte (Schlangen waren keine anwesend) ging, wankte, hüpfte, flatterte und hastete durch die Torbögen auf den Marktplatz. Die morgendliche Sonne ließ die bunten Zelte in allen Farben des Regenbogens erstrahlen und die meisten Händler hatten ihre Planen abgebaut um etwas vom ersten warmen Tag des Jahres abzukriegen. Magdalena, Marianna und Oswald versuchten ebenfalls etwas von der Sonne abzukriegen, standen aber im Schatten des riesigen Ogers, der vor ihnen herwankte.
„Immerhin stinkt er nicht“, merkte Marianna hinter vorgehaltener Hand kichernd an.
    Während Marianna und Oswald hier in Veylle wohnten, war Magdalena nur zu Besuch da und Marianna wollte heute noch ihren Gegenbesuch bei Magdalena antreten.
    Sie trennten sich auf dem Markt und verabredeten sich auf in einer Stunde am großen Bierzelt. Magdalena ging ziellos von einem Stand zum anderen und guckte mit halbem Auge nach etwas nützlichem, mit einem halben nach etwas leckerem, mit einem halben nach etwas interessantem und mit einem halben Auge guckte sie nach etwas, das sie ihrem Verlobten, Marius, mitbringen konnte. Ihre Schnurrhaare zitterten bei all den Gerüchen von Gewürzen, Essen, Leder und dem Mix an Körpergerüchen der verschiedensten Wesen. Magdalena blickte um sich; so viele verschiedene auf einem Haufen hatte sie lange nicht mehr gesehen. Der Großteil der Masse waren Tiermenschen wie Magdalena, aufrecht gehend, aber mit Fell und anderen tierischen Elementen versehen. Drei Oger sah sie in einiger Entfernung vor einem Schlachtzelt aus der Menge ragen. Und sogar einen Greif sah sie, der sich gerade auf der Flugplattform abflugbereit machte.
    Magdalena fand sich vor einem Zelt wieder, das keine Auslagen hatte und auch nicht der Sonne geöffnet war wie die anderen. Neugierig öffnete Magdalena den Eintrittsspalt und ging in das Zelt hinein. Entgegen ihrer Erwartung war das Zelt nicht stockduster, sondern hellbunt beleuchtet – es war das Zelt eines Magiers. Um den Mast in der Mitte waberte, langsam pulsierend, kaltes Feuer. Auf einer Reihe von Tischen lagen Schmuckstücke und Beutel und Kästen mit allem was der kleine Hausmagier so brauchte. Magdalena schaute gewohnheitsgemäß einmal an der Ware entlang. Das Zelt war leer gewesen bevor sie es betreten hatte und der Verkäufer, eine weiß-rot gefleckte Eule, kam gemächlich wankenden Schrittes aus seiner separaten Nische herüber in den Verkaufsraum. Er musterte Magdalena kurz, dann öffnete er einen der Holzkästen und winkte Magdalena mit überschwänglich ausladenden Gesten zu sich. Das Kästchen war voll mit altem, heruntergekommenen Schmuck, den Magdalena aber trotzdem sehr schön fand. Der Verkäufer machte ihr ein Angebot, sie dürfe für 10 Dukaten ein Schmuckstück ziehen. Magdalena nahm an und zog ein ledernes Armband mit glänzenden Verschlüssen. Sie bedankte sich und ging wieder hinaus. Kaum hatte sie das Zelt aufgemacht, überschwemmte sie plötzlich wieder der Lärm und die Masse riss sie mit, kaum dass sie einen halben Schritt aus dem Zelt gemacht hatte.
    Die drei Freunde hatten noch den ein oder anderen Trunk und viel Freude, doch als sie die Mauer, die den Platz umgab, hinter sich gebracht hatten, waren sie doch auch ganz erleichtert nun wieder auf dem Weg zu sein. Magdalenas Armband funkelte in der Sonne. Obwohl diese nicht schien da sie in einer tiefen Straßenschlucht im Schatten gingen; aber weder das eine noch das andere bemerkte irgendwer.

II.
    Nach sechs Stunden Ritt hatten Marianna und Magdalena schon ihr Ziel vor Augen: Tjänne, Magdalenas Heimstadt, war in Sichtweite. Die beiden waren gerade über einen Kamm geritten und genossen nun den Ausblick über den vor ihnen liegenden Hang und ihren Weg bis zur Stadtmauer. Es war vielleicht noch eine Viertelstunde. Magdalena freute sich schon unbändig, ihren Verlobten und ihre Stadt wiederzusehen, auch wenn sie nur drei Tage in Veylle gewesen war. Die beiden Damen lachten und quatschten schon den ganzen Weg lang, wurden es aber kein bisschen Leid. In Richtung der Stadt war der Himmel frei, doch von hinter ihnen, von Veylle her, kamen Wolken heraufgezogen.
    „Was hast du Marius denn schönes mitgebracht? Wetter?“, frotzelte Marianne, den Wolken zunickend. Ihre Züge verfinsterten sich ebenso wie der Himmel, als sie sich umsah. Als Magdalena merkte, dass es nicht nur am Wetter lag, blickte sie ebenfalls über die Schulter.
    Nur wenige hundert Meter hinter ihnen, direkt auf dem Kamm, hoben sich die Schemen von vier Reitern ab. Nein halt, das waren keine Reiter sondern Zentauren, „Mikka“ um genau zu sein. Die Mikka waren dafür bekannt, gleichzeitig die schnellsten, stärksten und gesetzesuntreuesten Wesen auf dieser Welt zu sein. Zum Glück hatte Magdalena noch nie nähere Bekanntschaft mit einem von ihnen gemacht.
    Unvermittelt galoppierten die vier Mikka los – genau auf Marianna und Magdalena zu. Ihr Puls beschleunigte heftig, sie spürten ihren Herzschlag hart wummern. Ihnen lag viel daran, ihren Herzschlag noch ein wenig länger zu erhalten und sie begannen einen Fluchtversuch. Die Stadt war schon in Sichtweite und es ging bergab, so schlecht sahen ihre Chancen eigentlich gar nicht aus. Sie trieben ihre Pferde zum Äußersten und flogen nur so über die weite Wiesenlandschaft. Plötzlich hörte Magdalena neben sich das platschende Geräusch eines Aufpralls. Sie sah sich um, sah jedoch nichts. Dann platschte es auf der anderen Seite.
    „Sie schießen auf uns!“, rief Marianna. Und jetzt, als Magdalena genau hinsah, sah sie es auch: Die Mikka hatten Bögen in den Händen und schossen aus vollem Galopp auf sie. Aber nicht mit normalen, sondern mit lebendigen Pfeilen. Mit Pfeilfröschen, einer Art mit spitzem Kopf und der Angewohnheit sich mit der giftigen Kopfspitze immer weiter in die Opfer hineinzubohren. Verängstigt beobachtete sie eines der Pfeiltiere, wie es in hohem Bogen zig Meter durch die Luft flog und dann mit einem vernehmlichen 'Platsch' auf den Boden fiel und zerplatzte. Noch mehr verängstigt war sie, als sie sah wie nah die Mikka schon gekommen waren; bis zur Stadt würden sie sie längst eingeholt haben. „Wir müssen sie verwirren oder irgendwie ablenken!“, sagte Magdalena, „Hast du eine Idee wie...“
    Magdalena schaute neben sich, riss die Augen auf und erstarrte. Die Zügel rutschten ihr aus der Hand, sie vergaß sich festzuhalten und drohte vom Pferd zu fallen. Neben ihr, auf dem anderen Pferd, saß Marianna, halb von einem zuckenden Pfeiltier durchbohrt. Sie war schon tot oder ohnmächtig, war aber noch auf dem Sattel eingeklemmt. Gerade sauste ein zweiter Pfeil heran und traf das Pferd, das sofort strauchelte und, sich in hohem Bogen überschlagend, mit Marianna auf den Boden krachte.
    Magdalena war viel zu schockiert um irgendwie zu reagieren oder irgendetwas zu realisieren. Sie fasste sich mit den Händen an die Stirn. Sie bemerkte nicht, wie knapp sie mehrmals selbst verfehlt wurde, bemerkte nicht, wie ihr Ärmel durch das Armheben ein Stück herunterrutschte und das Armband freilegte. Und sie bemerkte auch wieder nicht, wie das Armband leuchtete, wie in der schönsten Morgensonne – obwohl die Sonne gerade hinter dunklen Wolken verschlossen war.
    Das nächste woran Magdalena sich erinnerte war, dass über der Stadt zwei weiße Greife aufstiegen und ihr zur Hilfe eilten. Normalerweise ließen sich diese mächtigen, majestätischen Wesen nicht dazu herab, einem einfachen Bürger – noch dazu einer Frau – zu helfen. Die Greife rauschten über Magdalenas Kopf hinweg als die Mikka nur noch einen Steinwurf entfernt waren. Sie hatten glänzende Brustpanzer und Helme auf und leuchteten im Licht.
    Woher das Licht eigentlich kam bemerkte niemand.
    Die Greife zerpflückten die Mikka mit Leichtigkeit und flogen dann ihrer Wege.

III.
    Das Stadttor wurde geöffnet und Magdalena ritt hinein. Eigentlich ritt das Pferd, nicht sie. Sie selbst war viel zu schwach um auch nur irgendetwas zu tun oder auch nur zu denken. Als das Tor hinter ihr zufiel kamen ihr die Tränen. Ihr Pferd wurde angehalten und sie heruntergehoben. Mit steinernem Blick ging sie zurück zur Mauer und bestieg sie.
    Traurig sah sie den so kurzen Weg, auf dem gerade das Leben ihrer wertvollsten Freundin nach viel zu kurzer Zeit beendet worden war. Sie sah den braun-grauen Fleck in der Ferne, der Mariannas Körper und ihr Pferd war. Und die vier dunklen Fetzenhaufen weiter vorne, die die Mikka gewesen waren.
    Magdalena setzte sich kraftlos auf den Steinboden und blickte mit tränenverschleiertem Blick in die Ferne. Ihr kamen all die Erinnerungen hoch, all die Erlebnisse die sie mit Marianna gehabt hatte, und sie musste zu Boden gucken. Das ließ noch mehr Tränen fließen und Magdalena zitterte schluchzend. Gedankenverloren spielte sie mit ihrem neuen Armband – da wurde ihr plötzlich warm ums Herz.
    Sie blickte wieder auf, blinzelte die Tränen weg und entsann sich der guten Dinge, die sie mit Marianna verband. Freute sich darüber, mit ihr gelacht gedurft zu haben, erinnerte sich an all die Fröhlichkeit und Albernheit. Sie sah eine Szene vor sich, wie Marianna und sie ausgelassen durch einen Garten tobten. Die Szene schien tatsächlich direkt vor ihr auf der Stadtmauer im Raum zu schweben, wie ein Fenster zur Vergangenheit. Das Armband um Magdalenas Handgelenk strahlte nun so hell, dass es keiner mehr hätte leugnen können. Auch Magdalena bemerkte es und blickte es verwundert an, dann die Szene mit Marianna. Das Armband sog die Szene in sich auf und blitzte dabei noch einmal auf. Dann erschien die nächste wundervolle Szene mit Marianna. Und Magdalena, die eben noch bitterlich geweint hatte, musste lächeln. Weitere Szenen kamen, auch die auf dem Markt von Veylle an diesem Morgen. Die Erinnerung war noch so frisch, dass sie Magdalena ins Herz stach und sie kurz das Lächeln vergaß. Doch die Szene ging vorüber und sie fand sich damit ab. Sie musste wieder lachen, als sie sich und Marianna als Kinder unbefangen zusammen spielen sah. Sie war fasziniert, fasziniert von dem Armband, fasziniert von der Schönheit des Lebens – so kurz es auch sein mochte.
    Doch dann wurde der Strom der Erinnerungen plötzlich unterbrochen; die letzte Szene fing an zu rauschen und zu wabern, dann knallte es und vor ihr auf der Stadtmauer stand die alte Eule, die Magdalena das Armband verkauft hatte.
    „Sei gegrüßt, Magdalena. Ich muss dir etwas über dieses Armband berichten. Es ist ein unverzeihlicher Fehler, eigentlich dürftest du es um nichts in der Welt besitzen.“, begann die Eule.
    Magdalena war viel zu perplex von der Erscheinung und guckte den Magier erstmal nur fragend an.
    „Das Armband hat Macht, viel – viel zu viel Macht. Die Mikka vorhin haben es gespürt und haben versucht es dir zu rauben, aber du hast es weise eingesetzt.“
    „Was? Aber ich hab doch gar nichts...!“, wunderte sich Magdalena.
    Der Magier nickte nur verständnisvoll.
    „Das ist ja gerade das Wunderbare: Wir merken es noch nicht einmal...
    Zurück zum Armband und dir: Es kann das Machtgefüge in dieser Welt durcheinander bringen, wenn das Armband von den richtigen beziehungsweise falschen Leuten benutzt wird. Verzeih wenn ich für dich so in Rätseln spreche, das mag unglaubwürdig klingen, aber du musst mir vertrauen.“
Magdalena seufzte, sie wusste was jetzt kommen würde.
    „Und was muss ich tun? Ich einfache Katzenfrau aus Tjänne?“
    „Braves Mädchen“, sagte die Eule zwinkernd und sehr erleichtert, „Du musst es an einen sicheren Ort bringen, an dem es niemand erwartet. Allerdings darfst du nicht weit reisen, dich werden viel mächtigere Wesen jagen als Mikka. Verstecke es in den Katakomben unter der Burg Herrfreuth hier in der Stadt. Und tu es sofort, sonst hast du das gesamte düstere Volk an den Fersen! Ich muss jetzt fort, bevor mich jemand hier sieht. Sei erfolgreich und benutze das Armband nicht!“
    „Ich weiß doch gar nicht wie...?“, setzte Magdalena an, doch der Magier hatte sich schon in eine Staubwolke aufgelöst.
    Nun betrachtete sie das Armband mit anderen Augen.
    Sie sah das feine Glimmen, das sich hin und wieder hindurch zog.

    Ihr fiel Marius wieder ein und ihr war es schon fast peinlich, so lange nicht richtig an ihn gedacht zu haben.     Sie stellte sich seine Züge vor, sein Lachen, und verfiel selber in ein breites Grinsen.
    Da knallte es erneut und Marius stand direkt vor ihr.
    Das heißt, es war natürlich nicht wirklich Marius, er sah aus wie die Projektionen der Erinnerungen von vorhin. Magdalena stand auf, ging zu ihm hin und wollte ihn küssen – doch sie lief einfach durch seine Erscheinung hindurch. Sie schauten sich beide eine Weile verliebt lächelnd an. Dann begannen sie beide gleichzeitig zu sprechen, brachen ab und wollten dem anderen den Vortritt lassen. Schließlich fing Magdalena an:
    „Bist du's? Also wirklich?“, sie schnaubte ungläubig, „Klingt komisch, ich weiß, aber dieses Armband scheint alles durcheinander zu bringen...“
    „Ja ich bin's. Und du bist. Also sind wir.“, antwortete Marius, eine philosophische Tiefe imitierend. Magdalena musste lachen.
    „Du, es ist was passiert. Es...“, sie konnte nicht weitersprechen. Marius bemerkte, dass etwas nicht stimmte und wurde sofort ernst und besorgt.
    „Marianna ist tot. Und ich bin immer noch in Gefahr. Es ist dieses blöde Armband, das ich als Mitbringsel für dich in Veylle gekauft habe. Ich soll es in den Gewölben unter der Burg verstecken.“
    „Was? Die Katakomben von Burg Herrfreuth? Nie im Leben gehst du da rein! Weil du nie wieder rausgehst!“
    Magdalena sah ihn besorgt an. Plötzlich fing Marius' Erscheinung an zu wabern, er schaute irritiert an sich herunter. Dann kamen von den Seiten plötzlich zwei Hände, behandschuhte Hände mit Stahlhandschuhen, und packten Marius. Er schrie auf und streckte Magdalena seine Hand hin, sie versuchte sie zu greifen, doch Marius Erscheinung war ungreifbar. Er wurde von den Händen weggezerrt, weg von Magdalena, weg aus seinem Haus. Er schrie:
    „Nein, nicht in den Kerker von Herrfreuth! Das ist mein Ende! Ich habe ein Mädchen!“, dann war sein Bild verschwunden und Magdalena blieb verängstigt alleine zurück.

IV.
    Es war erstaunlich einfach gewesen, in die Katakomben einzudringen – kein Wunder wenn Oger als Wachen eingesetzt wurden. Magdalena schmunzelte immer noch über ihr Kunststück. Sie war zu den Wächtern gegangen und hatte gesagt, sie sei Magierin. Sie hatte ein Schwert in die Hand genommen und gesagt, wenn die Wächter kurz die Augen schließen würden, würde sie es in einen Schweinebraten und vier Krüge Bier verwandeln. Die Oger hatten bereitwillig die Augen geschlossen und Magdalena hätte sie ohne weiteres mit dem Schwert erschlagen können. Da sie aber keine Aufmerksamkeit erregen wollte, war sie einfach schnell in den Kellereingang geschlüpft.
    Es war dunkel und kalt.
    Und still.
    Nur Magdalenas Schritte hallten wie Posaunen durch die weiten Kelleranlagen. Als Katzenfrau brauchte sie nicht mehr als ein winziges Restchen Licht um sich zurechtzufinden. Trotzdem wischte es ihr nach einer Weile das Schmunzeln aus dem Gesicht, als sie noch andere Geräusche als ihre Schritte hörte. Sie lauschte, vernahm aber nichts mehr. Dann sah sie plötzlich einen Schatten – oder war es ein Lichtschein? – quer über den Gang vor ihr huschen, sie spürte deutlich den Luftzug. Ihr Herzschlag wurde schneller und sie schlich so leise sie konnte weiter. Auf einmal fiel ihr noch etwas ein: Sie wusste gar nicht wo sie hin musste. Und sie hatte sich auch gar keine Gedanken über den Rückweg gemacht, genaugenommen wusste sie schon jetzt nicht mehr wo sie war. Aber Magdalena bewahrte einen kühlen Kopf und überlegte. Und wie sie so überlegte, spürte sie, dass sie nicht mehr allein war. Sie schaute langsam auf und ihr liefen kalte Schauer über den Rücken, ihre Nackenhaare sträubten sich, ihr Schwanz stellte sich auf, ihre Schnurrhaare zitterten.
    In der Dunkelheit vor ihr schwebte ein Augenpaar, das schwach gelblich zu leuchten schien.
    Es war höchstens noch ein paar Schritte entfernt. Aber was war 'Es'?
    In dem Moment schnellte das Monster auf sie zu, Magdalena hob als Reflex schützend den Arm – und entblößte dabei das Armband.
    Es leuchtete hell auf.
    Vor ihr war eine Art Schlange, aber mit vier Beinen, zwei Armen und einer schrecklichen Reißzahn-Kauleiste. Das Monster war geblendet, schreckte zurück und wand sich. Das Armband leuchtete nicht gleichmäßig, Magdalena blendete es nicht und es leuchtete in einen der Gänge hinein, ein wegweisender Lichtfinger. Magdalena überlegte nicht lange, sie lief in den beleuchteten Gang hinein so schnell ihre Füße sie trugen.
    Das Armband leuchtete ihr den Weg durch das Labyrinth der Katakomben, scheuchte sie durch zig Abzweigungen und mehrere Etagen. Immer wieder meinte sie, Schritte hinter sich zu hören. Es wurden immer mehr Schritte. Sie war immer noch verängstigt, ihr lief der Angstschweiß in Strömen, doch sie lief nur noch dem Licht hinterher.
    Da sah sie in der Ferne noch ein Licht. War es nur eine Täuschung? Nein, das sah aus wie ein Lichtschein, der aus einer Tür in den Gang fiel. Dieser Lichtschein war ihr die vollkommene Erlösung. Kurz vorher hörte sie auf zu laufen und ging wie in Trance auf das Licht zu. Ihr Herz schlug höher, aber nicht mehr weil sie sich so gruselte, sondern in freudiger Erwartung. Das Armbandlicht begann immer schneller zu pulsieren. Dann war sie angekommen. Es war eine Gittertür, durch die der schwache Lichtschein fiel.
    Und hinter dieser Gittertür saß Marius.

V.
    Sein Anblick ließ Magdalena verzückt erstarren. Unendlich langsam hob er den Kopf, blickte zu ihr auf und verfiel ebenfalls in ein verzücktes Lächeln. Magdalena versuchte die Tür zu öffnen und wie sie das Schloss berührte, leuchtete das Armband auf, es klickte und Magdalena ließ die Tür aufschwingen. Sie und Marius fielen sich in die Arme und pressten sich aneinander, als könnten sie auf diese Weise eins werden.
Die Dunkelheit, die Monster – alles war vergessen. Nur dieser wunderbare (Tier-) Mensch zählte. Neben dem Paar bauten sich Erinnerungsblasen auf: Szenen verliebter Tollerei und anderer gemeinsamer Erlebnisse – das Armband sog sie auf und glomm immer intensiver. Es schien schon kaum mehr aus Leder zu bestehen, sondern aus lodernden Flammen.
    Mithilfe des Armbands war es ein leichtes, aus dem Kerker zu entkommen. Magdalena verließ die Katakomben und dachte nicht mehr im Entferntesten daran, zurückzugehen und das Armband zu verstecken oder zu vernichten – auch abnehmen lassen würde sie es sich im Leben nicht.
    Und so gingen sie die Hauptstraße hinunter, ein Paar wie es glücklicher nicht hätte sein können. Die Leute schauten ihnen nach, die beiden strahlten eine unbeschreibliche Helligkeit aus. Und sie fassten sich an den Händen und zwischen ihnen leuchtete das Band.
    Das Band, das sie verband.

[Eine musikalische Vertonung dieser Geschichte gibt es – leider nur in einer softwaregenerierten Version – hier auf Soundcloud zu hören.]

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