Sonntag, 8. Januar 2012

Unmenschlicher Humanismus?

Vorweg: Es geht um die Philosophie der Giordano-Bruno-Stiftung (kurz gbs), einem Zusammenschluss von Atheisten und Humanisten. Im Folgenden beziehe ich mich u.a. auf die Texte „Evolutionärer Humanismus“ und „10 Fragen und Antworten“ von der Website der Giordano-Bruno-Stiftung (die entscheidenden Stellen sind unten jeweils zitiert). 

    Die Giordano-Bruno-Stiftung hat sich die Vertretung säkularer Interessen und die Stärkung der „Leitkultur Humanismus und Aufklärung“ auf die Fahnen geschrieben. Sie bestreitet zwar religionsfeindlich zu sein, hat aber das Ziel, wissenschaftliche Ergebnisse an die Stelle von Religion in der Gesellschaft zu stellen.
    Das Motto der gbs: "Glaubst du noch oder denkst du schon?"

   Die gbs vertritt einen „Evolutionären Humanismus“. Dazu schreibt sie: „Wie jeder konsequente Humanismus geht auch der Evolutionäre Humanismus von der Notwendigkeit und Möglichkeit der Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse aus. Evolutionäre Humanisten treten entschieden für die Werte der Aufklärung, für kritische Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein.“ Außerdem begreifen sie den Menschen nicht als Krone der Schöpfung, sondern als zufälliges Produkt der natürlichen Evolution.
    Die genannten Werte der Aufklärung sind genau die Werte, die zu einer Verbesserung der äußeren Lebensumstände der Menschen führen können. Mithilfe von rationalem Denken, von wissenschaftlicher Forschung, können die Menschen ihr Überleben besser sichern und länger und bequemer leben. Diese Ansicht passt perfekt zur Evolutionstheorie, die immer wieder in den Texten der gbs auftaucht. Der Mensch unterscheidet sich nicht prinzipiell vom Rest der Schöpfung und seine Lebensverhältnisse zu verbessern ist sein primäres Lebensziel.
    Im Glauben sieht die Stiftung einen unvereinbaren Gegensatz zur Wissenschaft. Sie stellt ihn aber nicht der Wissenschaft gegenüber, sondern stellt ihn als schlechter dar, mit dem Argument welche schlechten Taten in der Vergangenheit (und auch noch aktuell) mit Glaube legitimiert wurden. Ein Zitat dazu: „Nie zuvor war die prinzipielle Unvereinbarkeit von wissenschaftlichem Wissen und religiösem Glauben so offensichtlich wie in unseren Tagen. (So muss man evolutionstheoretische Erkenntnisse zumindest partiell ausblenden, um den Glauben an den christlichen oder muslimischen Schöpfergott aufrechterhalten zu können.)“ Und noch eins von Charles Darwin: „Ob man will oder nicht, man muss eine Wahl treffen: Entweder Evolution oder Schöpfung, Aufklärung oder Obskurantismus, wissenschaftliches Wissen oder religiöser Glaube. Sämtliche Versuche, das eine mit dem anderen zu verbinden, sind gescheitert. Was mich auch nicht verwundert, denn: Ein bisschen schwanger sein, geht nicht!“ Allerdings meint die gbs andererseits auch nicht, dass man etwas wie Religion mit Wissenschaft allein ersetzen könnte: Die Kombination Wissenschaft, Philosophie und Kunst macht in den Augen der gbs die Religion jedoch endgültig überflüssig. Alles, was weder philosophisch noch wissenschaftlich geklärt werden könne, könne von der Kunst verarbeitet und „eingefangen“ werden.
    Gleichzeitig wird in den Texten auf der Website der gbs teils gnadenlos über Religion hergezogen:
    „Ohne ein wirksames metaphysisches Bedrohungsszenario entbehrt der religiöse Glaube seiner eigentlichen Pointe [...]“
    „Wir dürfen nicht übersehen, dass die Glaubensüberzeugungen vieler tiefreligiöser Personen menschenverachtende Praktiken legitimieren (etwa die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen) und /oder auf unsinnigen, längst widerlegten Annahmen über die Welt beruhen (etwa der Vorstellung, die Menschheit sei das intendierte Ziel einer planvollen „Schöpfung“, was den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie diametral widerspricht). Solch inhumane oder unsinnige Überzeugungen zu respektieren, käme einem Verrat an den Idealen von Humanismus und Aufklärung gleich.“ Ich finde es eher inhuman und ignorant Menschen nicht zu respektieren die glauben. Und sei es an so „unsinnige“ Dinge wie die Schöpfungsgeschichte. Überhaupt ist Glauben und Religion doch etwas zutiefst menschliches und es käme deshalb dem schlimmsten Verrat, dem Verrat an sich selbst (also dem Menschen, der Menschlichkeit, selbst), gleich sie nicht zu respektieren.
    Und dann gibt es da noch die Antwort auf die Frage Nummer Neun, in der die gbs gar die (christliche) Religion für den Nationalsozialismus mitverantwortlich macht. Und einen Absatz, in dem die gbs beteuert, dass die „besonders harschen Verrisse“ über die gbs im Presseecho von Theologen und anderen voreingenommenen Kritikern „hinter der Maske unabhängiger Berichterstatter“ geschrieben worden seien und allein dadurch „Fehldeutungen“ in den Maximen der gbs entstanden seien (weshalb die Antworten auf die 10 Fragen veröffentlicht wurden). Natürlich will die gbs öffentlichkeitswirksam arbeiten um ihr Ziel – die Durchsetzung der Aufklärung in allen Gesellschaftsbereichen – zu erreichen. Unter anderem schrieb sie einen Brief an den Bundespräsidenten, in dem sie erklärte, dass sie die Bibel als ungeeignet für Kinder hielte. Damit aber nicht genug: Die gbs unterstützte die Herausgabe des Kinderbuches „Wo bitte geht’s zu Gott? Fragte das kleine Ferkel“, das ein aufklärerisches „Gegengift“ zu den Kinderbibeln darstellen soll und versucht, Kindern Wissenschaft und Atheismus zu erklären. Auch damit noch nicht genug: Der Autor betonte, dass er das Buch wieder vom Markt nehmen werde, sobald Kinderbibeln ebenfalls aus den Buchläden verschwinden würden. 

    Soviel zur Sichtweise der gbs, nur wo setze ich an zu widersprechen? Am besten eignet sich meiner Meinung nach folgende Textstelle: „Der von den Verteidigern des Glaubens immer wieder erhobene Vorwurf des „Wissenschaftsfundamentalismus“ ist ein Widerspruch in sich. Denn Wissenschaft ist im Unterschied zur Religion per definitionem ergebnisoffen. Falls also tatsächlich jemand dogmatisch an spezifische Ergebnisse des wissenschaftlichen Forschungsprozesses glauben sollte, so würde er allein dadurch die Grundprinzipien des wissenschaftlichen Denkens verraten.“ Natürlich geht die Wissenschaft nicht komplett ergebnisoffen an Untersuchungen heran, denn sie hat eben doch einen Anspruch, nämlich dass sich alles wissenschaftlich erklären lässt. Werden scheinbar übernatürliche Phänomene wissenschaftlich untersucht, dann heißt das, dass nach einer Erklärungsmöglichkeit gesucht wird. Eine Erklärung auf übernatürlich-spiritueller Ebene wird von vorneherein ausgeschlossen. Aber auch in diesem Punkt widersprechen sich die Texter der gbs, denn an anderer Stelle wird behauptet, dass die Wissenschaft nicht alles erklären kann und will.
    Genau diesem einen Punkt stimme ich zu. Die Wissenschaft ist dazu da, gewisse Phänomene auf eine bestimmte Art und Weise zu erklären, mit dem langfristigen Ziel die Lebensumstände der Menschen zu verbessern. Und da die Ideale der gbs genau jene sind, die das zum einzigen Ziel haben, ist es wenig verwunderlich dass die gbs auf andere geistige Ebenen und Lebensinhalte so gut wie nicht eingeht. Sie meint an einigen Stellen selbst diffamiert worden zu sein und beteuert immer wieder für Freiheit zu stehen – diffamiert auf der anderen Seite aber fleißig zurück (z.B. indem sie an manchen Stellen Religion auf das „metaphysische Bedrohungsszenario“ oder die negativen Handlungen die aus Religion folgten reduziert oder sie gar für den Nationalsozialismus mitverantwortlich macht – was mir doch recht unsympathisch erscheint). In diesem zweiten Punkt stimme ich auch noch ein bisschen zu: Viele grausame Taten wurden mit Religiösität begründet, das ist zu verurteilen, soweit richtig. Aber der Glauben ans Übernatürliche (und sei es die immer wieder genannte Schöpfungsgeschichte) sollte jedem selbst überlassen sein. Wenn die gbs so für Freiheit und Freidenken steht, warum sollte in ihren Augen dann die Bibel oder besser gleich der ganze Glauben durch Wissenschaft, Philosophie und Kunst ersetzt werden? Die Idee, ein aufklärerisches Kinderbuch herauszubringen, das den einzigen Zweck hat öffentlichkeitswirksam der Bibel gegenüber zu stehen, ohne sich Gedanken darüber zu machen was Kinder in dem Alter eigentlich brauchen, zeugt davon, dass die Sichtweise der gbs eben doch nicht differenziert genug ist.

    Der Evolutionäre Humanismus, verkörpert durch die gbs, fördert die Verbesserung der äußeren Lebensumstände, die inneren werden jedoch vernachlässigt. Ich finde, dass Wissenschaft und Glauben wunderbar zusammenpassen – ja sogar sehr ähnlich sind –, da sie in meinen Augen unterschiedliche Zielsetzungen, aber auch Gemeinsamkeiten haben. Die Wissenschaft ist für das Äußere, für die objektiv-rationale Weiterentwicklung der Menschheit, während der Glauben (ob nun in einer konkreten Religion manifestiert oder nicht), und auch die Kunst, die „innere Kraft“ geben können. Auf eines komplett zu verzichten ist eigentlich unmöglich. Ich verstehe es zumindest nicht, wie aufklärerische Gedanken einen Menschen komplett ausfüllen können sollen. Dass die gbs die Kunst mitnennt finde ich ehrenswehrt, aber der Stellenwert scheint mir doch nicht angemessen zu sein, wenn auch der Glaube unter den Tisch fällt.
    Freiheit ist ein sehr wichtiges Gut, innere Freiheit bedeutet jedoch allen Gedanken offen zu sein und nicht bloß an die Wissenschaft zu glauben.

[Anm.: Philosophie-Hausaufgabe zum Thema Evolutionärer Humanismus]

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