Donnerstag, 3. November 2011

Der Mensch als Gott


    Was haben Dan Browns neuester Bestseller und Diskussionen zu Spiegel-Online-Artikeln gemeinsam? In beiden geht es viel um die vermeintliche Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Religion. In beiden etwa ab Seite 40. In „The Lost Symbol“ geht es unter anderem um eine Wissenschaftlerin der Noetik, die erforscht inwiefern der menschliche Geist Materie beeinflussen kann – und dabei bahnbrechende Entdeckungen macht – in den Diskussionsforen des Spiegels argumentieren Religiöse mit Wissenschaftlern um die Wette wer Recht hat mit seiner Weltanschauung.


Die Moral von der Geschicht'

    Der Protagonist von Dan Browns Romanserie, Robert Langdon, spürt in „The Lost Symbol“ wie immer einem großen, alten Geheimnis nach – wer das Buch noch lesen möchte sollte den Rest dieses Absatzes mit Vorsicht genießen – diesmal einem sagenumwobenen Schatz der Templer. Erste Andeutungen über die Verbundenheit von Materie und Geist macht der Autor durch die Gleichsetzung einer rätselhaften, riesigen und versteckten Templer-Pyramide (materiell) mit Wissen bzw. geistiger Erleuchtung (geistig). Da Robert Langdon Symbolologe ist, kennt er sich bestens mit Metaphern aus und weiß, dass Schätze, die in Legenden aus Gold und Edelsteinen bestehen, sich in Wirklichkeit als rein immaterielle Lebensweisheiten entpuppen können.
    Katherine Solomon, die Noetikerin in dem Roman, hat mit akribischen wissenschaftlichen Beweisen unwiderlegbar dargestellt: Der Mensch kann mit seinem Geist Materie verändern. In einem Experiment wiegt sie einen Sterbenden auf einer extrem genauen Waage und siehe da – im Moment des Ablebens wird der Körper des Menschen ein ganz klein wenig leichter. Die Schlussfolgerung: Die Seele des Menschen ist nichts masseloses sondern eine reale Substanz und kann gemessen werden. Im Roman hat Katherine ihre Ergebnisse allerdings noch nicht veröffentlicht, weil sie sich nicht sicher ist ob die Welt bereit dafür ist. Außerdem will sie lieber ersteinmal weitere Beweise sammeln. Die Moral der Geschichte (in meinen Augen), die sich daraus entwickelt, lässt sämtliche übernatürlichen Geschehnisse, alle Religionen und Wunderdinge mit einem Mal völlig plausibel erscheinen. Gott ist nichts vom Menschen erdachtes und seine Taten vom Menschen eingebildet – der Mensch selbst, oder vielmehr: Das kollektive Bewusstsein der Menschen (dass ja messbar ist), ist das, was bisher Gott genannt wurde und gemeinsam zu Großem fähig ist. So erfährt schlussendlich auch der grundlegend wissenschaftlich überzeugte Robert Langdon seine Erleuchtung und erkennt den Schatz der Templer als die reine Information an, dass der Mensch mit seinem Geist dieWelt beeinflussen kann.

Fantastisch!

    Ich persönlich war sofort gefesselt von dieser Idee. Es klang alles so plausibel, dass ich bereit war alles zu glauben und meine Weltanschauung über Bord zu werfen. Die Vorstellung des Übernatürlichen fasziniert die Menschen seit jeher. Doch diese Entdeckungen würden diese in den Bereich des real Möglichen und Erklärbaren bringen und somit jegliches Stigma von ihnen nehmen.
So fasziniert und begeistert ich auch war, überkam mich die Ernüchterung: Von den noetischen Wissenschaften oder gar bahnbrechenden Ergebnissen derer hatte ich noch nie gehört (und das will schon was heißen, irgendwie). Das erste was ich nach der letzten Romanseite tat, war also den Wikipedia-Artikel über die Noetik zu lesen. Nach kleinen weiteren Recherchen, stellen sich mir die Hypothesen der noetischen Wissenschaften (zusammengetragen hauptsächlich durch die Wissenschaftsjournalistin Lynne McTaggart) folgendermaßen dar:

Die noetischen Wissenschaften wirklich

    Die meisten Forschungsergebnisse dernoetischen Wissenschaften sind nicht bestätigt, da nicht einwandfrei reproduzierbar, und nur zu verschwindend geringen Teilen theoretisch erklärbar (weshalb dieser „Wissenschafts“-Bereich – wenig überraschend – so unbeliebt bei anderen Wissenschaftlern ist). Der folgende Abschnitt fasst ein paar der von den noetischen Wissenschaftlern als „Forschungsergebnisse“ veröffentlichten Thesen zusammen:

    Die noetischen Wissenschaften wurden von dem NASA-Astronauten Edgar Mitchell begründet, nachdem er auf dem Rückflug vom Mond auf der Apollo-14-Mission ein Gefühl „der Verbundenheit mit dem gesamten Kosmos“ gespürt hatte.
    Seitdem also versuchen die verschiedenen Forschungsinstitute der noetischen Wissenschaften durch Experimente zu beweisen, dass Geist und Materie zusammenhängen. Von den meisten Wissenschaftlern der anderen Disziplinen wird die Noetik jedoch eher als reine Esoterik angesehen (auch der Autor des Wikipedia-Artikels ist ein Kritiker) und nicht wirklich ernstgenommen. Tatsächlich jedoch können die noetischen Wissenschaften inzwischen ein paar Experimente und Forschungen vorlegen, die eine Kommunikation bzw. Verbindung von Materie auf einer Ebene nahelegen, die bisher unbekannt war.
Ein, wie ich fand beeindruckendes, Experiment zur Erforschung eines „Weltbewusstseins“, also eines kollektiven, unbewussten Bewusstseins der ganzen Menschheit, war dieAufstellung von 37 Zufallsgeneratoren rund um die Welt. Es war geplant große Menschenmengen sich durch einen Aufruf alle auf ein und dasselbe konzentrieren zu lassen und dann eine Abweichung in den Zufallsergebnissen festzustellen. Noch bevor dieser Aufruf erfolgreich genug geplant war, kam zufällig ein sehr viel wirkungsvollerer: Der 11. September 2001. Die gesamte Weltöffentlichkeit war mit einem Schlag beim World Trade Center in New York und z.B. Schweigeminuten fokussierten Millionen Bewusstsein auf diesen Ort und die Menschen dort. Das Ergebnis: Die Zufallsgeneratoren gaben weniger zufällige Ergebnisse aus. Viele sogar exakt dieselben oder nur mit geringen Abweichungen! Der Terroranschlag hatte also gewissermaßen das Weltbewusstsein synchronisiert und die Zufallsgeneratoren damit auch.
    Ein weiterer Punkt der die Theorie eines kollektiven Bewusstseins unterstützt, sind verschiedene Aspekte der Quantenphysik, die (nach der Interpretation der Noetiker) unter anderem eine Art alles verbindende Energie vorhersagt. Schon der alte indische Philosoph Jiddu Krishnamurti (Krishna) sagte: „Du bist die Welt“. Wenn also tatsächlich alles eins ist und wir nur einen Teil dieses großen Ganzen betrachten und darin unsere Welt und Zeit sehen, ließen sich damit Hellsehen und Zukunftsvorhersagen erklären. Die Hellseher sähen lediglich einen anderen Abschnitt der Welt, der aber – wie alles – immer existiert. Warum sonst alle Menschen „zufällig“ denselben Abschnitt des großen Ganzen sehen – egal, es ist erstmal nur eine Vorstellung (aber eine mathematisch begründbare), ein philosophischer Gedanke. Es gibt auch noch mehr Überschneidungen mit der Quantenphysik, aber die verstehe ich erstrecht nicht...
    In anderen Experimenten ließen sich Pflanzen und Bakterien, laut den Noetikern, dazu bewegen anders (schneller bzw. langsamer) zu wachsen, wenn mehrere Menschen sich darauf konzentrierten.
Forscher fanden schon früher heraus, dass alle möglichen Gegenstände – also auch lebende Organismen –leuchten. Sie geben ganz schwaches Licht von sich, von den Noetikern „Biophotonen“ genannt. Die Leuchtstärke und -frequenz unterscheidet sich je nach Art und Zustand. Der physikalische Hintergrund: Bei verschiedensten Aktivitäten (z.B. chemischen Reaktionen) vibrieren die Moleküle und geben dabei (weil sie elektrische Ladung enthalten) elektromagnetische Wellen von sich – Licht. Dieses Licht ist sehr schwach, wir können es nicht sehen und die ihm zugeschriebene Wirkung hat auch nur eine sehr geringe Reichweite – aber es ist messbar. Einem Postulat der Noetiker zufolge können Pflanzen und Tierschwärme über diese Biophotonen kommunizieren. Dies würde zum Beispiel das Schwarmverhalten von Fischen, Vögeln und Insekten ohne erkennbare Kommunikation erklären. Ein interessantes Experiment zu Biophotonen: Zwei Gläser mit Blut wurden nebeneinander gestellt. In das eine wurde ein Erreger gegeben, die Abwehrkörper reagierten und das Blut arbeitete. Doch auch in dem (komplett getrennten) anderen Glas zeigten die Blutkörper Abwehrreaktionen bzw. -vorbereitungen – bis die Forscher eine lichtundurchlässige Wand zwischen die Gläser schoben, dann verhielt sich das nicht infizierte Blut wieder normal. Die noetischen Forscher zogen nun den Schluss, dass Dinge wie Wunderheilungen und Telepathie auf Kommunikation und Energieübertragung durch Biophotonen beruhen.

Wissenschaft und Religion schließen sich nicht aus

    So ganz abwegig bleibt die Vorstellung, dass Jesus Wasser in Wein verwandelt hat und mit bloßen Händen Kranke heilte, also doch nicht. Zumal die Denkweise in Dan Browns Roman eben auch ganz nebenbei den Graben zwischen Wissenschaft und Religion schließt: Es wären nicht mehr zwei getrennte, ja gegensätzliche Weltanschauungen, nein, es wäre alles dasselbe und plötzlich könnten sich alle Religionen als wahr herausstellen. Über die Jahrtausende eben leicht verfremdet. Alle Religionen sind wahr? Halleluja! Der Nahostkonflikt wäre beendet – Weltfrieden!
    Die Menschen treffen sich seit Urzeiten in Kirchen um etwas reales zu verändern – die Ernte verbessern, eine Krankheit beseitigen – und beten dabei einen oder mehrere abstrakte Götter an. Die Wissenschaftler verstehen das nicht, es gibt keine kausale Kette, die es nach heutiger Sicht ermöglicht, durch gemeinsames Denken etwas zu verändern – außer eben in der Noetik. Sollte sie sich bewahrheiten – unvorstellbar! Alle Menschen könnten Wunderdinge wirken.
    Doch der Haken an der ganzen Sache ist, dass es höchstwahrscheinlich genauso viele ergebnislose Experimente in den noetischen Wissenschaften gab. Und Experimente, die sich nichtals einwandfrei reproduzierbar herausstellen, sind nicht wissenschaftlich anerkannt da unglaubwürdig...
    Aber es bleibt zumindest eine Hoffnung (?). Vielleicht werden wir eines Tages doch noch zu einem Weltbewusstsein, einer spirituelleren Weltanschauung kommen – vielleicht nicht. In Dan Browns Roman wird die Entdeckung der Templer-Pyramide jedenfalls mit der Apokalypse gleichgesetzt. Was im Klartext bedeutet: Entdecken alle Menschen ihre wahren Fähigkeiten, hört die Welt, wie wir sie kennen, auf zu existieren. Es ist und bleibt eine fantastische Vorstellung, dass da noch eine Ebene mehr ist, eine unbekannte, die alles ist und alles verändern kann – eine göttliche Ebene zu der wir alle Zugang haben.

[Anm.: Dieser Text soll keinesfalls die Richtigkeit der noetischen Vorstellungen suggerieren, sondern lediglich ihre Ideen vorstellen und die Fantasie anregen.]

1 Kommentar:

  1. Ich kann mich da nur anschließen. Wäre sehr schön wenn sich die Vermutungen der Noetik bewahrheiten würden. So könnte dann der Weltfrieden wirklich durch die Wissenschaft hergestellt werden. Was für eine Dramaturgie: der Weltfrieden wird von denen hergestellt, die immer belächelt werden :)
    In diesem Kontext würde die Apocalypse ja dann auch etwas sehr positives bekommen.

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